„Unter den Provokateuren an der Bogazici-Universität ist auch die Frau von Osman Kavala, des Vertreters von Soros in der Türkei“ sagt Präsident Erdogan in einem Fernsehauftritt am vergangenen Freitag (5.2.2021). Damit gemeint ist Ayse Tugra, Professorin und einer der bekanntesten Sozialwissenschaftlerin der Türkei. Sie lehrt an der Bogazici-Universität. So ist die derzeitige Stimmung in der Türkei. Jeder, der oder die sich kritisch gegenüber der AKP-MHP Regierung äußert, kann beleidigt, als „Verräter“ oder „Terrorist“ abgestempelt und verhaftet werden.
Die Studierenden der „Elite-Universität“ Boğaziçi kämpfen seit mehr als einem Monat gegen die Ernennung des Rektors Melih Bulu. Der Rektor wurde vom Präsident Erdogan persönlich ernannt und ist selbstverständlich auch Mitglied der AKP. Bisher wurden die Rektoren der Universitäten intern gewählt und nun wurde Bulu vom Präsidenten persönlich ernannt, aber warum?
Präsident Erdogan und die AKP-MHP Regierung hatte schon seit längerem ein Auge auf die oppositionellen Hochschulen wie Bogazici in Istanbul oder die Middle East Technical University in Ankara geworfen. Sie gelten weiterhin als Hochburg der linken, antifaschistischen, Liberalen und demokratischen Bewegung. Die Lehrkräfte sowie die meisten Studierenden stehen der Politik der AKP-MHP kritisch gegenüber. So war es auch keine Überraschung, dass sich die Lehrkräfte der Universität auch solidarisch mit den Studierenden erklärten.
Die Proteste an der Boğaziçi-Universität hat auch die Türkei etwas wach gerüttelt. Nach den Umfragen unterstützen eine große Mehrheit die Forderungen der Studierenden. In den Medien spricht man von „einem Hauch von Gezi“. Dies zeigt sich aber sehr begrenzt auf den Straßen, weil die Menschen Angst haben, Angst vor Repression und Verhaftung. Das zeigen die Zahlen bei den Protesten gegen die Ernennung des Rektors: gegen 524 Studierende wurden nun Ermittlungsverfahren eingeleitet, 24 von Ihnen befinden sich nun in Hausarrest und weitere 9 Studierende sind nun im Gefängnis. (Stand: 8.Februar 2021)
Es ist nicht schwierig in der derzeitigen Türkei als „Terrorist“ abzustempeln werden. Das muss auch nicht unbedingt vorm Gericht passen. Wie auch im Falle von Prof. Ayse Tugra und Osman Kavala kann es auch vor laufender Kamera durch Präsident Erdogan persönlich passieren. So wurde auch die Vorsitzende der sozialdemokratischen CHP in Istanbul, Canan Kaftancioglu, zur Zielscheibe. Gegen Kaftancioglu wäre eine „Terroristin“ und gegen sie läuft bereits einen Verfahren. Ihr drohen bis zu 10 Jahre Haft. 10 Jahre Haft – hört sich viel und beängstigend an. So ist es auch. Aber für die Abgeordneten, Bürgermeisterinnen und Mitglieder der prokurdischen-und linken HDP ist es bereits seit Jahren Alltag. Ihre ehemaligen Vorsitzende Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag, sowie weitere Abgeordnete und tausende Mitglieder sitzen seit mehreren Jahren in den türkischen Gefängnissen. Der Europäische Gerichtshof für internationale Menschenrechte hat bereits Beschlüsse zu Demirtas und Kavala gefasst aber die türkische Regierung weigert sich diese umzusetzen. Dafür finden sie auch Lösungen. Sie eröffnen eine weitere Anklageschrift und lassen die Politiker*innen erneut verhaften und verhindern somit ihre Entlassungen.
Die türkischen Gefängnisse sind überfüllt mit Oppositionellen, Journalisten, Akademikern und Studierenden. Zwischenzeitlich hört man einzelne kritische Stimmen von der Regierung gegen die türkische Regierung aber zu mehr kommt es nicht. Die Türkei ist ein wichtiger Wirtschaftspartner Deutschlands in der Region und wird auch in weiteren wichtigen Fragen wie zum Beispiel bei der Flüchtlingskrise gebraucht. Daher wird dann zu Menschenrechtsverletzungen, willkürliche Verhaftungen geschwiegen und auch zu Verhaftungen von deutschen Staatsbürgern.
Die Kölner Fälle
Derzeit sitzen weiterhin mehr als 65 deutsche Staatsbürgerinnen in türkischer Haft und genau so viele dürfen wegen einer Ausreisesperre das Land nicht verlassen. Unter Ihnen sind auch die Kölnerin Hozan Cane und ihre Tochter Gönül Örs. Die Kölner Sozialarbeiterin Gönül Örs darf seit Mai 2019 nicht mehr zurück nach Deutschland. Die Prozesse können in der Türkei sehr lange dauern. Dieses Hinauszögern hat psycho-traumatische Folgen für die Betroffenen. Sie müssen ständig unter Angst leben; Angst dass man wieder wegesperrt werden könnte.
Die bekannteren Fälle aus Deutschland dürfen wegen einer Ausreisesperre das Land nicht verlassen. Eine Methode gibt es manchmal doch. Man könnte gegen eine Kaution die Ausreisesperre aufheben lassen, de facto die Betroffenen freikaufen. Im Sommer 2019 durfte ich auch diese Methode anwenden. Ich musste damals 20.000 türkische Lira (ca. 3.000 Euro) an das Gericht zahlen damit sie die Ausreisesperre gegen mich aufheben. Da die türkische Lira weiter an Wert verloren hat, stieg auch mittlerweile die Summe der Kaution. So forderte ein Gericht in Izmir vor zwei Wochen gegen den 70järhigen Kölner Rentner Ali T. eine absurde Summer von 250.000 türkische Lira. (ca. 30.000 Euro).
Der Kölner darf seit dem Sommer 2019 nicht mehr zurückkehren. Er wurde in seiner Ferienwohnung in Didim an der Agais kurzzeitig festgenommen und darf seitdem die Türkei nicht mehr verlassen. Am 17. März 2021 geht sein Prozess weiter und die Staatsanwaltschaft fordert eine Haftstrafe von 5 Jahren mit dem Vorwurf „Hilfeleistung eines Terrorverdächtigen“ für den Kölner Rentner.
(Adil Demirci – Friedenbildungswerk Köln)