Kampf gegen Alltagsrassismus: Hanauer »Bildungsinitiative Ferhat Unvar« will Anlaufstelle für Familien schaffen. Ein Gespräch mit Serpil Temiz Unvar
Sie haben im November am Geburtstag Ihres bei dem Anschlag von Hanau vor einem Jahr ermordeten Sohns Ferhat die nach ihm benannte »Bildungsinitiative Ferhat Unvar« begründet. Mit welchem Ziel?
Sie soll eine Anlaufstelle schaffen, um Jugendliche und Eltern – vor allem Mütter –, die vom Alltagsrassismus betroffen sind, zu unterstützen. Wir wollen ihnen zeigen, dass wir keine Angst haben müssen, wenn unsere Kinder Probleme in der Schule haben, oder davor, die Art und Weise des Unterrichts einzelner Lehrer zu hinterfragen. Viele migrantische Familien haben auch Angst vor dem Jugendamt. Das guckt bei Problemen auf die Familien, aber fragt nie die Lehrer, ob sie vielleicht nicht fair und tolerant genug sind. Mit der Bildungsinitiative möchte ich aktiv in Schulen gehen und Brücken bauen zwischen Schülern, Lehrern und Familien. Wir wollen den Kindern und Jugendlichen helfen, sich sicher zu fühlen, um ihr volles Potenzial entfalten können.
Wie kann man sich das in der Praxis vorstellen?
Am Freitag haben wir mit dem ersten Workshop begonnen. An der Konzeption haben sich Jugendliche aktiv beteiligt. Diese Workshops möchten wir den Schulen anbieten. Jugendliche, die die Bildungsinitiative mitgegründet haben, werden Ende des Monats zu Demokratietrainern ausgebildet. Später wird es ein Gespräch mit zwei Schulen in Bonn und Berlin über Rassismuserfahrungen geben. Es ist wichtig, dass wir uns mit anderen Menschen zusammenschließen, weil wir nur zusammen etwas erreichen können.
War der Rassismus, den Ihr Sohn in der Schule erfahren musste, der Hauptgrund dafür, dass Sie antirassistische Arbeit fördern möchten?
Ferhat war der Meinung, dass die Schulleistung nichts über die Intelligenz eines Menschen aussagt. Er musste immer kämpfen und sich oft Aussagen anhören wie: »Du wirst nie etwas schaffen.« Das nahm ihm die Motivation. Trotzdem gab er nie auf und hat seine Ausbildung geschafft. Er hat nach dem Abschluss aber nicht gefeiert, weil für ihn die Schule ein Problem war, das er lösen musste. Zwei Wochen danach wurde ihm das erkämpfte Leben genommen. Jetzt möchte ich, dass sein Kampf nicht mit seinem Tod endet. Die Erfahrungen, die ich mit Ferhat gemacht habe, sind zwar meine Hauptmotivation, doch ich möchte auch anderen Familien und Jugendlichen helfen. Mein Sohn soll nicht umsonst gestorben sein.
Viele der Jugendlichen, die in der Bildungsinitiative aktiv sind, sind Freunde von Ferhat.
Diese Jugendlichen sind unglaublich. Ich bin ihnen sehr dankbar. Sie sind so engagiert, so kreativ und motiviert. Sie geben mir Kraft und die Hoffnung, dass wir gemeinsam etwas bewegen und verändern können, dass wir eine bessere Zukunft gestalten können.
Wer fördert Ihre Initiative noch?
Viele Menschen, Institutionen und Organisationen bieten ihre Unterstützung an. Die Stadt Hanau hat ebenfalls Hilfe angeboten. Die Resonanz ist sehr positiv. Wir sind noch in der Aufbauphase: Wir wollen Räume anmieten, brauchen eine Ausstattung usw. Dafür kann man spenden. Wir sind für jeden Beitrag dankbar. Aber uns erreichen auch sehr viele Worte der Solidarität, die uns stärken und motivieren.
Welche Entwicklung wünschen Sie sich für Ihre Initiative?
Sie soll ein Pilotprojekt sein und andere in die gleiche Richtung inspirieren. Unsere Initiative soll sich im Bildungsbereich etablieren und antirassistische Bildungsarbeit voranbringen können. Es sollte in jeder Stadt Anlaufstellen für Jugendliche und Eltern geben, die von Rassismus betroffen sind. Vor allem Schulen sollten Sensibilisierungsarbeit leisten, damit kein Kind mehr Angst vor Diskriminierung haben oder sich wertlos fühlen muss. Ich hoffe, dass die Initiative bundesweit bekannt und immer aktiv sein wird, damit möglichst viele Menschen von unserer Arbeit profitieren werden. Diese Arbeit, die wir leisten, soll für eine bessere Gesellschaft sein.
(JungeWelt)