Die Samstagsmütter sind unser Stolz,
sie dürfen nicht verurteilt werden!
Der türkische Staat muss für das Verschwindenlassen unter Haft Rechenschaft abgeben!
Der türkische Staat hat Klage erhoben gegen die Samstagsmütter, die seit dem 27. Mai 1995 jeden Samstag um 12:00 Uhr vor dem Galatasaray-Gymnasium in Istanbul nach dem Schicksal ihrer Angehörigen fragen. Der türkische Staat, der für Tausende von Verschwundener verantwortlich ist, möchte 46 Angehörigen von Verschwundenen jeweils zu einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren verurteilen. Der erste Prozess wird bereits am 25. März 2021 stattfinden. Die Festsetzung dieses Termins, noch bevor die Anklageschrift überhaupt geschrieben wurde, zeigt, wie sehr die türkische Justiz zum Sklaven des Faschismus geworden ist.
Die türkische Polizei hatte auf Befehl von Innenminister Süleyman Soylu am 25. August 2018 die 700. Wochenaktion der Samstagsmütter unter Einsatz von Gasgranaten und Schlagstöcken brutal angegriffen und 46 Angehörige von Verschwundenen, darunter auch Emine Ocak, die Mutter von Hasan Ocak, und MenschenrechtlerInnen festgenommen. Seitdem ist den Angehörigen der Verschwundenen der Zutritt zum Galatasaray-Platz verboten. Seitdem führen die Samstagsmütter ihre Aktionen vor dem Menschenrechtsverein Istanbul durch. Auch hier wurden die Samstagsmütter wochenlang angegriffen. Ziel dieser Angriffe war es zu verhindern, dass sie weiterhin nach dem Schicksal der Verschwundenen fragen.
Das Verschwindenlassen unter Haft durch den türkischen Staat begann schon während des Gründungsprozesses der Türkei. Es nahm mit dem faschistischen Militärputsch vom 12. September 1980 allmählich zu und wurde in den 90er Jahren massiv praktiziert. Nach dem Verschwindenlassen von Hasan Ocak am 21. März 1995, als dieser Angriff des Staates auf die Oppositionellen seinen Höhepunkt erreichte, führten seine Freunde und die Familie Ocak eine sehr breite und wirksame Kampagne durch und konnten seine Leiche schließlich am 17. Mai 1995 auf dem Friedhof für Unbekannte auffinden. Dadurch wurde der türkische Staat praktisch auf frischer Tat ertappt und die Taten konnten in großem Umfang entlarvt werden. Die Angehörigen der Verschwundenen haben daraufhin am 27. Mai 1995 mit den wöchentlichen Sitzaktionen vor dem Galatasaray-Gymnasium begonnen und fordern seitdem die Aufklärung über den Verbleib ihrer Angehörigen und die Bestrafung der Täter.
Die Samstagsmütter mussten ihre Aktionen nach monatelang dauernden massiven Polizeiangriffen im März 1999 unterbrechen. Seit dem 31. Januar 2009 führen sie ihre Aktionen weiterhin durch.
Diese als längste organisierte Aktion zivilen Ungehorsams in der Türkei fand 20. März 2021 zum 834.mal statt. Doch die Aktionen wurden unter ständigen Repressalien des Staates, trotz Festnahmen, Verhaftungen und Folter durchgeführt. Sie gaben jedoch den Kampf um die Suche nach ihren Verschwundenen nicht auf. Zusätzlich zu den Aktionen der Samstagsmütter in Istanbul finden auch in den Städten wie Amed und Batman in Kurdistan wöchentliche Aktionen der Angehörigen von Verschwundenen und Menschenrechtlern statt.
Der Angriff Verschwindenlassen unter Haft des türkischen Staates geht weiter.
Der türkische Staat greift den gerechten Kampf der gesellschaftlichen Opposition an, um sie zum Schweigen zu bringen. Zehntausende Demokraten, fortschrittliche, revolutionäre Gegner und Gegnerinnen des Faschismus, Intellektuelle, SchriftstellerInnen, JournalistInnen, AkademikerInnen und StudentInnen wurden für ihre politischen Aktivitäten verhaftet. Die faschistische Erdogan-Diktatur, die das kurdische Volk jeden Tag bombardiert und versucht, ihre Besatzung in Rojava und Südkurdistan auszuweiten, setzt das Verschwindenlassen als eine Vernichtungsmethode fort.
Gülistan Doku, eine 22 Jahre alte Studentin im zweiten Studienjahr an der Munzur Universität in Dersim, ist seit dem 5. Januar 2020 verschwunden. Wir fragen den türkischen Staat noch einmal: Wo ist Gülistan Doku? Das Schicksal von Gülistan Doku muss sofort aufgeklärt werden.
Die Eltern von Remzi Diril, dem Priester der Chaldäischen Kirche in Istanbul, Hurmüz Diril (71) und Şimuni Diril (65), die im Dorf Kovankaya im Bezirk Beytüşşebap in Şırnak lebten, waren am 11. Januar 2020 verschwunden. Die leblose Leiche von Şimuni Diril wurde am 20. März in einem kleinen Bach in der Nähe ihres Dorfes gefunden. Von Hurmüz Diril fehlt jedoch weiterhin seitdem jede Spur.
Am 20. Januar 2021 wurde Gökhan Güneş, Mitglied der Sozialistischen Partei der Unterdrückten (ESP), vor dem Betrieb, wo er arbeitet, von Sicherheitskräften in Zivil entführt. Aufgrund schneller und sich ausbreitender Aktionen seiner Familie, GenossInnen, demokratischer Institutionen und Menschen, konnte in kurzer Zeit eine Öffentlichkeit geschaffen werden. Durch diesen öffentlichen Druck mussten diese mysteriösen Sicherheitskräfte Gökhan Güneş nach 6 Tagen freilassen. Gökhan Güneş gab an, dass er 6 Tage lang gefoltert, mit Vergewaltigung und Tod bedroht und unter Druck gesetzt wurde, als Spitzel für den Staat zu arbeiten.
Mit dem gegen die Samstagsmütter eröffneten Verfahren zielt der türkische Staat darauf ab, den Kampf gegen das Verschwindenlassen zu behindern und den Weg für neue Fälle von Verschwindenlassen unter Haft zu ebnen.
Die Samstagsmütter können nicht verurteilt werden! Für Tausende Verschwundene in der Türkei und Kurdistan ist der Staat verantwortlich! Er und entsprechend alle führenden Verantwortlichen müssen dafür Rechenschaft ablegen. Dieses Verbrechen gegen die Menschheit durch den türkischen Staat ist das, was verurteilt werden muss! Die Samstagsmütter suchen unter jeglichen Bedingungen seit mehr als 25 Jahren nach ihren Angehörigen. Mit einer Anklage gegen sie hat der türkische Staat sich erneut schuldig gemacht.
Der Kampf für die Aufklärung des Schicksals der Verschwundenen und die Verurteilung der Verantwortlichen kann nicht zum Schweigen gebracht werden!
Der türkische Staat muss für das Verschwindenlassen unter Haft Rechenschaft abgeben!
ICAD
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- März 2021. E-Mail: icadint2016@gmail.com