Deutsch-Iranerin seit Monaten nahe Teheran inhaftiert. Gründe sind ihrer Familie unklar. Ein Gespräch mit Mariam Claren
Ihre Mutter Nahid Taghavi ist seit mehr als 200 Tagen im Iran inhaftiert. Wie kam es dazu, und was wird ihr vorgeworfen?
Meine 66jährige Mutter wurde am 16. Oktober 2020 in ihrer Wohnung in Teheran verhaftet. Sie wurde in Isolationshaft ins berüchtigte Evin-Gefängnis gebracht. Der Vorwurf »Gefährdung der nationalen Sicherheit« ist meinem Onkel mündlich mitgeteilt worden. In den ersten drei Monaten haben wir kaum Anrufe von ihr erhalten. Sie ist derweil ohne Rechtsbeistand in circa 80 Sitzungen insgesamt 1.000 Stunden verhört worden. Nach fünf Monaten hat man sie in den Frauentrakt des Evin-Gefängnisses verlegt und sie dann nach nur 20 Tagen unter dem Vorwand eines Arztbesuches zurück in den Isolationstrakt gebracht. Dort befindet sie sich bis heute.
Vom ersten Tag ihrer Verhaftung an hat mein Onkel sich um einen unabhängigen Rechtsbeistand für meine Mutter bemüht. Dies wurde von den Behörden abgelehnt. Lediglich vom Justizministerium autorisierte Anwälte dürfen Zugang zu politischen Gefangenen haben. Erst wenn die Akte zu Gericht gebracht wird, darf der Wahlanwalt diese einsehen. Der unabhängige Anwalt bekam sie erst vier Tage vor dem Termin. Eine Vorbereitung war nicht möglich. Meine Mutter und ihr Anwalt haben sich erstmalig am 28. April vor Gericht gesehen. Der Termin entpuppte sich als kurze Anhörung, der eigentliche Gerichtstermin steht aus.
Wie geht es Ihrer Mutter? Gibt es Möglichkeiten für Kontakt?
Meiner Mutter geht es sehr schlecht. Die Haftbedingungen in der Isolation sind unerträglich. Rund um die Uhr wird sie von Kameras überwacht, bei jedem Gang werden die Augen verbunden. Es gibt keinen Zugang zu Tageszeitungen, Büchern oder anderen intellektuellen Anregungen. Die Gefangenen müssen ohne Kissen auf dem harten Steinboden schlafen. Die Haut meiner Mutter ist mangels Tageslicht wund und ihre Haare fallen aus. Die Rückenschmerzen sind für sie kaum zu ertragen. Neben schon vorhandenem hohen Blutdruck und damit verbundenen Herz-Kreislauf-Problemen ist sie während der Zeit in Haft an Diabetes Typ 2 erkrankt.
Hinzu kommt der »Schwebezustand«: Sie weiß nicht, wie es weitergeht und wie lange dieser Zustand noch anhält. Politische Gefangene dürfen weder Rechtsbeistand noch Besuch empfangen. Dreimal die Woche darf meine Mutter uns für fünf Minuten anrufen. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, sie in jedem dieser Anrufe durch eine kleine Anekdote aufzumuntern.
In mehreren Berichten ist zu lesen, dass es bisher keine konsularische Betreuung von deutscher Seite gibt. Woran liegt das?
Der Iran erkennt die doppelte Staatsbürgerschaft nicht an. Die Regierung betrachtet meine Mutter als ausschließlich iranische Staatsbürgerin und verweigert daher den konsularischen Zugang. Auf der anderen Seite entlässt der Iran auch niemanden aus der iranischen Staatsbürgerschaft. Daher sind Personen mit doppelter Staatsbürgerschaft im Iran der Justiz schutzlos ausgesetzt. Aber auch wenn die deutsche Seite keine rechtliche Handhabe hat, so hat sie sehr wohl diplomatische und politische Möglichkeiten, entsprechenden Druck auf den Iran auszuüben und die Freilassung meiner Mutter zu fordern. Diese Mittel werden meines Erachtens bis dato nicht genutzt.
Der Gerichtstermin wurde verschoben. Ist das Ihrer Meinung nach ein politisches Mittel, Ihre Mutter in Haft zu halten, oder ist mit baldiger Bewegung im Verfahren zu rechnen?
Über die Beweggründe kann ich nur spekulieren. Aber eines habe ich in den vergangenen Monaten gelernt: So willkürlich uns die Methoden vorkommen, so systematisch sind sie in Wahrheit. Von daher ist davon auszugehen, dass der Iran einen Grund dafür hat, den »Schwebezustand« aufrechtzuerhalten. Unser kurzfristiges Ziel ist es, meiner Mutter bessere Haftbedingungen und eine medizinische Versorgung zu verschaffen. Unser wichtigstes Ziel ist und bleibt ihre sofortige und bedingungslose Freilassung. Von der Bundesregierung fordern wir, sich entsprechend einzusetzen.
(Interview: Henning von Stoltzenberg – JungeWelt)