Ankara beendet Einmarsch im Nordirak. Türkische Kriegsgefangene bei Luftangriffen getötet
Der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar hat in der Nacht zum Sonntag überraschend das Ende der jüngsten Militäroperation gegen die Guerilla der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) im Nordirak erklärt. Die Operation »Adlerklaue 2« im Gare-Gebirge sei abgeschlossen, die beteiligten Truppeneinheiten wieder sicher in ihre Stützpunkte zurückgekehrt. Der Versuch der türkischen Armee, sich dauerhaft in Gare festzusetzen, sei vereitelt worden, feierte indes das Hauptquartier der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (HPG) den Rückzug der türkischen Truppen am Sonntag den Erfolg ihres Widerstandes.
Die Angriffe auf das rund 70 Kilometer von der türkischen Grenze entfernt in der irakischen Autonomieregion Kurdistan gelegene Gare-Gebirge hatten am Mittwoch mit heftigen Luftangriffen begonnen, anschließend wurden Kommandoeinheiten von Helikoptern abgesetzt. Von Anfang an stießen die Invasoren auf den Widerstand der HPG, der sich auch kommunistische Partisanen des Guerillabündnisses HBDH aus der Türkei angeschlossen hatten. Ein am Sonntag von der kurdischen Nachrichtenagentur ANF verbreiteter Film zeigte Transporthubschrauber der türkischen Armee, die aufgrund des Beschusses durch die in den Bergen verschanzten Guerillakämpfer die geladenen Truppen nicht absetzen können und wieder abdrehen müssen.
Gegen die türkischen Kommandotruppen setzte die Guerilla auch selbstgebaute Drohnen ein. Während das türkische Verteidigungsministerium von lediglich drei im Kampf gefallenen eigenen Soldaten aber 48 »neutralisierten« PKK-Kämpfern spricht, hatten die HPG bereits zuvor die Zahlen der türkischen Armee als Falschmeldung bezeichnet. Diese habe selbst hohe Verluste verzeichnet, die sie nicht bekannt gebe. Die HPG kündigten eine zeitnahe ausführliche Stellungnahme mit den Namen ihrer eigenen Gefallenen an.
Ein Ziel der Operation sei es gewesen, das Schicksal verschleppter Bürger aufzuklären, gab Verteidigungsminister Akar bekannt. Es sei der Armee gelungen, die Leichen von 13 türkischen Bürgern zu finden, die vor sechs Jahren von der PKK verschleppt worden waren. Zwölf der Toten seien mit Kopfschüssen getötet worden, behauptete Akar. Das HPG-Hauptquartier wies diese Vorwürfe am Sonntag als »Lügen und verdrehte Tatsachen« zurück. Mehrere gefangene türkische Soldaten, Polizisten und Geheimdienstmitarbeiter seien in Folge dreitägiger Bombardierungen und der Gefechte rund um das Gefangenenlager ums Leben gekommen. Die Guerilla habe alles zu ihrem Schutz unternommen, doch wegen der heftigen Angriffe habe niemand das Lager lebend verlassen können. »Der Angriff war nicht auf die Befreiung der Kriegsgefangenen ausgerichtet, sondern auf ihre Vernichtung«, erklärten die HPG.
Wäre die Gefangenenbefreiung geglückt, hätte sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan als großer Feldherr feiern lassen. So aber ist davon auszugehen, dass die Regierungsallianz aus der islamistischen AKP und der faschistischen MHP in Ankara die toten Soldaten zu »Märtyrern« erklären wird, um eine nationalistische Kampagne zu entfachen, die sich vor allem gegen die unter Kurden verankerte Linkspartei HDP richten wird. Die MHP fordert offen das Verbot der Partei, da sie der »parlamentarische Arm der Terroristen« sei. Bei den Wahlen 2018 hatte die HDP 5,7 Millionen Stimmen erhalten. Unterdessen geht die Masseninhaftierung ihrer Mitglieder weiter. So wurden von Freitag bis Sonntag bei Razzien in verschiedenen Städten laut ANF mindestens 150 HDP-Mitglieder festgenommen.
(Nick Brauns – JungeWelt)